Wer öfter auf der A9 zwischen München und Ingolstadt unterwegs ist, hat sie vielleicht schon bemerkt: eine Kolonne von Schwerlastern, die mit extrem geringem Abstand zueinander über die Autobahn fahren. Was man auf dem ersten Blick nicht sieht: auch wenn – noch – Fahrer an Bord sind, fahren die LKW völlig autonom und die ganze Kolonne wird vom ersten Fahrzeug via Netzwerk gesteuert. Da bei Lastwagen fast ein Viertel des Treibstoffverbrauchs auf den Luftwiderstand entfallen, lassen sich mit diesem „Platooning“ genannten Verfahren erhebliche Mengen an Treibstoff einsparen und damit auch der CO2 Ausstoß merklich verringern. Um das zu erreichen, müssen die LKW aber autonom fahren und elektronisch vernetzt sein. Menschliche Fahrer sind nicht in der Lage, diese Manöver auf einer längeren Strecke auszuführen.
Autonomes und vernetztes Fahren sind die großen Trends in der LKW-Branche. Autonome Lastwagen können 24 Stunden an nahezu 365 Tagen im Jahr fahren, brauchen keinen hochbezahlten Fahrer, müssen keine Ruhepausen einhalten, werden nicht krank und sind nie unaufmerksam, so dass auch das Unfallrisiko signifikant geringer ist als bei herkömmlichen LKWs. Auch ist es praktisch unmöglich, einen autonomen LKW zu stehlen. Die rigiden gesetzlichen Reglementierungen für LKW-Fahrer gelten für autonome Lastwagen nicht.
Unter den 10 größten LKW-Herstellern weltweit sind Dailmer die Nummer eins und VW die Nummer fünf, fast ein Drittel der weltweit hergestellten Lastkraftwagen werden – noch – von deutschen Unternehmen oder ihren Tochtergesellschaften hergestellt. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Branche für den Standort Deutschland kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und es besteht schon heute ein fühlbarer Rückstand in der Entwicklung hin zum autonomen LKW: Während Mercedes und VW noch in Feldversuchen testen, bietet z.B. Volvo bereits autonome Systemlösungen z.B. für die Müllabfuhr oder in Minen und mit „Vera“ einen komplett autonomen Elektro-LKW an. Noch weiter ist Tesla: die Auslieferung des elektrisch betriebenen und vollständig autonomen „Tesla Semi“ sollte 2020 beginnen, wurde aber wegen Corona auf 2021 verschoben. Auch chinesische Hersteller sind kurz davor, autonome LKW anbieten zu können.
LKW werden selten mehr als vier oder fünf Jahre gefahren. Neue Modelle oder Technologien können sich also viel schneller durchsetzen als z.B. bei den PKW. Wenn es den deutschen LKW Herstellern in den nächsten Jahren nicht gelingt, zum Stand der Entwicklung aufzuschließen, werden sie bald ähnliche Probleme haben wie die PKW Hersteller, die atemlos dem Technologieführer Tesla hinterherlaufen und dabei stetig Marktanteile verlieren. Wenn genug andere Anbieter autonomes Fahren anbieten und die deutschen Hersteller nicht, dürften die Tage der Branche in Deutschland gezählt sein.
Warum aber – abgesehen von der „Das haben wir schon immer so gemacht“ – Mentalität der deutschen Autobranche – ist es für die deutsche LKW Branche so schwer, autonome Systeme zu entwickeln? Die Antwort findet sich auf der zu Beginn des Artikels erwähnten Teststrecke der A9 zwischen München und Ingolstadt: dort gibt es eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Autonomes fahren, z.B. beim überholen eines anderen Autos, kann nur funktionieren, wenn alle Verkehrsteilnehmer mit einer kalkulierbaren Geschwindigkeit unterwegs sind. Der Rechner im LKW kann via Kamera den Verkehr von hinten über eine bestimmte Strecke beobachten und wenn in dieser Strecke keine Fahrzeuge erkannt werden, den Überholvorgang einleiten. Das funktioniert nicht, wenn damit gerechnet werden muss, dass jederzeit ein Hobby-Schuhmacher mit über 200 km/h von hinten auf den LKW auffährt. Kurz gesagt: autonomes fahren ist ohne eine strikte Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit nicht möglich.
In den achtziger Jahren haben Raser auf deutschen Autobahnen fast den dritten Weltkrieg ausgelöst (sie waren mit über 200 km/h in Ost-West Richtung auf der Autobahn unterwegs und wurden von amerikanischen Überwachungssytelliten für anfliegende russische Atomraketen gehalten). Das haben wir überstanden. Wenn wir uns heute entschließen, das Recht einiger, auf öffentlichen Verkehrswegen Rennen auszutragen, höher einzuschätzen als die Zukunft des Autostandorts Deutschland, dann wird die deutsche Autoindutrie bald erleben, was die deutsche chemische Industrie, die deutsche Hausgeräteindustrie, die deutsche Pharmaindustrie oder andere ehemalige deutscher Marktführer bereits hinter sich haben.
Wir haben die Wahl.
Ich wäre nicht bereit, die Bewegungsfreiheit einer ganzen Gesellschaft der technischen Spielerei des autonomen Fahrens zu opfern. Es mag im Lastverkehr ökonomisch sein, wenn keine Fahrer mehr benötigt werden. In der Gesamtheit bin ich sehr skeptisch. Heute ist autonomes Fahren möglich, morgen wird es empfohlen, übermorgen ist es Pflicht. Weitere Entscheidungskompetenzen werden an Maschinen abgegeben. Schöne, neue Welt?
Wenn Fahrende KIs derzeit nicht mit hohen Geschwindigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer umgehen können, sind sie schlicht noch nicht weit genug, den Menschen am Steuer zu ersetzen. Ich sage, das ist (derzeit noch) gut so.
Es ist ein alter Witz zwischen General Motors und Microsoft : wie sähe die Welt aus, wenn die Branche des anderen die gleiche Entwicklung gemacht hätte wie die eigene. Wir hätten vielleicht fliegende Autos mit xfacher Leistungsfähigkeit – aber wir hätten auch Abstürze noch und nöcher und nicht die Zuverlässigkeit und Sicherheit, die wir brauchen, um im Alltag unversehrt von A nach B zu gelangen.
Es mag technikfreundliche Lösungen und Kompromisse geben: Eine Hochgeschwindigkeitsspur, oder eben eine „Automatic-Train-Lane“ für autonome Laster.
Bei der Wahl zwischen Freiheit und Fortschritt muss die Entscheidung zu Gunsten der Freiheit ausfallen, oder man verfällt in ein Argumentationsmuster, welches schon Josef Stalin zur Industrialisierung der Sowjetunion nutzte.
Frei nach Ben Franklin: „Wer Freiheit zu Gunsten der Sicherheit opfert, hat beides nicht verdient und wird beides verlieren.“ Freiheit für vermeintlichen Fortschritt und Komfort zu opfern, kommt noch ein paar Stufen darunter.